ClientEarth
22. Juni 2023
Seit Ende 2018 bringt die internationale Umweltrechtorganisation ClientEarth auch in Deutschland Expert*innen, unsere Partner*innen und die interessierte Gesellschaft zusammen, um neue Wege vorzustellen, wie das Recht für einen systemischen Wandel zum Schutz der Menschen und aller anderen Bewohner*innen unseres Planeten genutzt werden kann. Wir wollen damit aufzeigen, wie Veränderungen durch innovative juristische Strategien möglich sind - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. Beim ClientEarth Symposium, unserer ersten öffentlichen Präsenzveranstaltung in Deutschland, haben wir in zwei spannenden Diskussionsrunden die neuesten nationalen und internationalen Entwicklungen im Bereich der Klimagerechtigkeit vor.
Eröffnet wurde die Debatte im Refugio in Berlin-Neukölln von Jennifer Morgan, Staatssekretärin und Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik. Sie betonte, dass neben zwischenstaatlichen Verhandlungen auch die Anwendung des Völkerrechts eine zunehmende Rolle im lebensnotwendigen Ringen um Klimaschutz einnimmt.
In einer Videobotschaft in die Teilnehmenden berichtete Ralph Regenvanu, Klimaminister des pazifischen Inselstaats Vanuatu, über die Bemühungen seines Landes, um ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes über staatliche Pflichten im Kontext der Klimakrise.
Viele Länder und Menschen weltweit haben keine Zeit mehr für Kulturkämpfe um den Klimaschutz – für sie stellt die Klimakrise jetzt schon eine existenzielle Bedrohung dar.
In den letzten sieben Monaten sind internationale Gerichte und Tribunale in den Mittelpunkt der globalen Bemühungen um den Klimaschutz gerückt. Im Dezember 2022 reichte die Kommission der kleinen Inselstaaten für Völkerrecht und Klimawandel (COSIS) eine Anfrage um ein Gutachten beim Internationalen Seegerichtshof ein. Sie wollen durch den Gerichtshof die staatlichen Pflichten zum Schutz der Meeresumwelt vor anthropogenen Treibhausgasemissionen klären lassen.
Anfang 2023 haben Kolumbien und Chile den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte um eine Klärung der Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten im Zusammenhang mit der Klimakrise ersucht. Und im März 2023 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine von Vanuatu eingebrachte Resolution, in der ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten im Zusammenhang mit der Klimakrise erfragt wird.
Da die politischen Prozesse ins Stocken geraten sind, suchen die Akteure nach ergänzenden Mitteln, um mehr globale Maßnahmen gegen die Klimakrise zu erreichen. Solche Gutachten sind zwar rechtlich nicht bindend, tragen aber zur Klärung des Rechts bei und helfen bei seiner Weiterentwicklung, was in Zeiten wie Diesen entscheidend ist.
In der Debatte, die von Laure Clarke, CEO von ClientEarth moderiert wurde, betonte Noemi Zenk-Agyei von der globalen Initiative World Youth for Climate Justice, dass ihre Organisation die Perspektiven junger Menschen an den internationalen Gerichtshof herantragen möchte, damit diese von Staaten berücksichtigt werden. Lea Main-Klingst, Expertin für Völkerrecht im Berliner Büro von ClientEarth, pflichtete ihr bei: „Junge Menschen organisieren sich zunehmend weltweit, weil ihre Zukunft am stärksten betroffen ist und ihnen an anderer Stelle Mitwirkungsmöglichkeiten zur Bekämpfung der Klimakrise fehlen.“
Lieferketten ein Paradebeispiel für organisierte Unverantwortung.
In unserer globalisierten Wirtschaft arbeiten transnationale Konzerne daran, Handelsschranken abzubauen, damit Waren, Daten und Geld mehr oder weniger ungehindert um die Welt fließen können. Dieses System bringt Gewinne und fördert die Interessen von Unternehmen im globalen Norden und Eliten in Entwicklungs- oder Schwellenländern.
Am anderen Ende der Wertschöpfungskette geht es jedoch den Menschen und der Natur im Globalen Süden nicht so gut. Über ihre Wertschöpfungsketten tragen transnationale Unternehmen oft zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung bei, die zum Verlust lebenswichtiger biologischer Vielfalt führen. Diese Zerstörungen verschärfen die Klimakrise, da Wälder und andere Ökosysteme eine entscheidende Rolle bei der Kohlenstoffbindung und der Regulierung des Erdklimas spielen.
Lokale Erzeuger, indigene Völker und andere lokale Gemeinschaften tragen zunehmend die Hauptlast der Landnahme und der Exposition gegenüber giftigen Chemikalien innerhalb dieser Lieferketten. Diese Verstöße können Menschen ihrer Würde, ihrer Lebensgrundlage und ihrer Grundrechte berauben.
In der zweiten Diskussionsrunde des Symposiums, moderiert von Dr. Christiane Gerstetter, Senior Lawyer im Berliner Büro von ClientEarth, haben wir die Auswirkungen von Wertschöpfungsketten, Fortschritte und Mängel in der Gesetzgebung sowie die Rolle rechtlicher Interventionen - einschließlich strategischer Klagen - erörtert. Zentral ging es um die Frage, wie Unternehmen zur Rechenschaft gezogen und die betroffene Personen und Gemeinschaften in ihrem Kampf um Gerechtigkeit unterstützt werden können.
"Wenn wir weiter so produzieren und konsumieren wie bisher, können wir die planetarischen Krisen nicht bewältigen" unterstrich Barbara Hermann, ClientEarth-Umweltrechtsexpertin die Dringlichkeit des Themas. Sie stellte aber auch fest: "In der politischen Debatte wächst allmählich die Anerkennung dafür, dass Unternehmen für die globalen Auswirkungen ihrer Wertschöpfungsketten auf Umwelt und Menschen Verantwortung tragen."
Paula Gioia, Bäuerin und Mitglied des Koordinationskomitees von La Via Campesina Europa forderte Koheränz in der Politik des globalen Nordens: "Es geht nicht, einerseits auf Umwelt- und Klimaschutz zu drängen und gleichzeitig für billige Sojaimporte Waldrodungen im Amazonas hinzunehmen - und diese Situation auch noch durch internationale Handelsabkommen weiter festzuschreiben, die ohne Mitsprache der Zivilgesellschaft, insbesondere der betroffenen Gemeinschaften, entstehen." Sie betonte auch, dass Lieferketten nicht nur im globalen Süden zu Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen führen, sondern auch in Europa ähnliche Probleme verursachen.
Laut Dr. Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR, European Center for Constitutional and Human Rights, sind Lieferketten ein Paradebeispiel für organisierte Unverantwortung. Dabei werden Kostenrisiken wie die Einhaltung von Umweltstandards und Rechte von Arbeitnehmer*innen ausgegliedert. "Die Verantwortung muss daher in die Länder und zu den Unternehmen zurückgeholt werden, wo in erster Linie die Wertschöpfung stattfindet und Profit entsteht", forderte die Menschenrechtsexpertin. Sie sieht aber auch positive erste Schritte der Politik auf diesem Weg: "Das deutsche und französische Lieferkettengesetz erkennen diese Verantwortung grundsätzlich an und haben trotz ihrer Einschränkungen auch dazu geführt, dass wir jetzt auch auf EU-Ebene über dieses Problem diskutieren.“