ClientEarth
25. Juli 2022
Die Anwält*innen von ClientEarth haben zusammen mit 13 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen die flämischen Behörden verklagt, um das Kunststoffprojekt des Petrochemie-Riesen INEOS - seine bisher größte Investition - im Hafen von Antwerpen (Belgien) zu verhindern.
Diese Klage ist der Höhepunkt eines anhaltenden Rechtsstreits der klagenden Parteien gegen das "Project One" von INEOS - ein 3-Milliarden-Euro-Projekt, das neben einem Naturschutzgebiet gebaut und fossiles Gas in Ethylen, einen wesentlichen Bestandteil von Kunststoff, umwandeln würde.
INEOS hat es bisher versäumt, eine angemessene Bewertung der Auswirkungen des Projekts auf das Klima, die Natur und die Luftqualität in der Umgebung vorzulegen, die bei einer Verwirklichung des Projekts wahrscheinlich erheblich beeinträchtigt würden. In der Klage wird argumentiert, dass die flämischen Behörden das Projekt genehmigt haben, ohne zuvor seine Auswirkungen vollständig zu bewerten – Damit ist die Genehmigung nach EU-Recht und nationalem Recht illegal.
ClientEarth-Anwältin Tatiana Luján sagte: "Machen Sie keinen Fehler. Investitionen wie „Project One“ sind der 'Plan B' der fossilen Brennstoffindustrie - die Verwendung von fossilem Gas zur Herstellung von Kunststoffen ist ein Versuch, die fossile Brennstoffindustrie am Leben zu erhalten. Dies wäre die größte Kunststoffentwicklung in Europa seit Jahrzehnten."
"Diese Projekte haben nicht nur verheerende lokale Umwelt- und Klimaauswirkungen, sondern auch globale Folgen. Die Kunststoffe, zu deren Herstellung diese Projekte beitragen, stoßen in jeder Phase ihres Lebenszyklus Kohlendioxid aus. Dieser "Slow-Burn"-Faktor von Kunststoffen wird immer noch nicht berücksichtigt."
"Anstatt diesem äußerst zerstörerischen und unnötigen Projekt Einhalt zu gebieten, haben die zuständigen Behörden eine Genehmigung erteilt. Da sie es versäumt haben, die unvermeidlichen Auswirkungen von „Project One“ anzuerkennen oder mitzutragen, bleibt uns keine andere Wahl, als das Projekt vor Gericht zu bringen und seine Genehmigung ein für alle Mal aufzuheben."
Die Kläger*innen argumentieren auch, dass die Auswirkungen der Stickstoffverschmutzung, die von „Project One“ ausgehen würde, weiterhin stark unterschätzt werden. Die Stickstoffwerte in Flandern liegen weit über den empfohlenen sicheren Werten, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen haben kann. Eine Verwirklichung des „Project One“ würde die Situation deutlich verschlimmern.
Benjamin Clarysse, Koordinator für Politik und Projekte bei Bond Beter Leefmilieu, sagte: "Angesichts der Stickstoffkrise, mit der wir derzeit in Flandern konfrontiert sind, und der heftig diskutierten Auswirkungen auf die flämische Landwirtschaft ist es nicht zu rechtfertigen, dass INEOS ein weiteres stickstoffverschmutzendes Projekt in unsere Region bringt. Die kumulativen gesundheitlichen Auswirkungen von „Project One“ wurden nur unzureichend untersucht, und die Bewertung der Auswirkungen der Stickstoffemissionen weist große Lücken auf.“
"Aber die Probleme hören damit nicht auf. Diese Verschmutzung sowie andere Emissionen, welche durch das Cracken von fossilem Ethangas (Ausgangsstoff für „Project One“) versursacht werden, verschlechtern die Luftqualität in der Umgebung erheblich. Die Gesundheit der Menschen wird weiter gefährdet.
Ebenfalls lückenhaft ist die Bewertung der lokalen und grenzüberschreitenden Auswirkungen einer wahrscheinlichen Zunahme der Verschmutzung durch Plastik-Granulat im Hafen.
Wie ein Anfang des Jahres veröffentlichter Bericht zeigt, ist die Westerschelde in den Niederlanden bereits stark mit Plastik-Granulat verschmutzt. Ein Großteil des Plastik-Granulats stammt von Herstellern in Antwerpen. Im Anschluss an den Bericht verabschiedete das niederländische Parlament einen Antrag zur Untersuchung der Verringerung der Plastik-Granulatverschmutzung in der Westerschelde sowie einen Antrag, "verbindliche Vereinbarungen" mit den flämischen Behörden zu treffen.
Maria Westerbos, Direktorin der Plastic Soup Foundation, sagte: "Aus den bestehenden Anlagen im Hafen dringt bereits jetzt Plastik-Granulat in die Umwelt, was nicht nur schlimme Folgen für die örtlichen Lebensräume, die Tierwelt und die menschliche Gesundheit hat, sondern auch die Niederlande belastet. Die Auswirkungen, die sich ergeben, wenn diese Probleme nicht angegangen werden, sind bereits an den Küsten beider Länder zu sehen und würden sich mit der Umsetzung des „Project One“ nur noch verschlimmern.
"Wir fordern die belgischen und niederländischen Behörden auf, ihrer Pflicht nachzukommen, uns und die Umwelt zu schützen, sowie „Project One“ umgehend zu stoppen. Denn die Plastikverschmutzung endet nicht an der Landesgrenze.
Hintergrund:
ClientEarth arbeitet mit den folgenden Organisationen zusammen, um die Erweiterung des INEOS-Kunststoffkomplexes zu stoppen: Bond Beter Leefmilieu (BBL), BOS+, Climaxi, Fairfin, Gallifrey Foundation, Greenpeace Belgien, Grootouders voor het Klimaat, Klimaatzaak, Natuurbeschermingsvereniging De Steltkluut, Plastic Soup Foundation, Recycling Netwerk Benelux, WWF Belgien und Zero Waste Europe.
Die Klage der Organisationen wird dem flämischen Umweltministerium übermittelt. Anschließend findet eine Anhörung vor dem Rat für Genehmigungsstreitigkeiten statt (auf Niederländisch: Raad Voor Vergunningsbetwistingen).
Letzten Monat wies das Umweltministerium von Flandern den Einspruch der Organisationen gegen die Entscheidung zur Genehmigung von INEOS' „Project One“ zurück.
Das zweite Genehmigungsverfahren ist ein erneuter Versuch von INEOS das „Project One“ wiederzubeleben, nachdem es zunächst um die Hälfte gekürzt und dann gänzlich eingestellt wurde. Vor dieser Entscheidung hatten die Umweltgruppen die erste Genehmigung von INEOS für das 3-Milliarden-Euro-Projekt angefochten und erfolgreich blockiert.
ClientEarth und seine Partner haben immer wieder rechtliche Schritte gegen das Genehmigungsverfahren von INEOS eingeleitet und argumentiert, dass die flämischen Behörden die Umweltauswirkungen der Erweiterung nicht vollständig geprüft hätten - ein klarer Verstoß gegen EU- und nationales Recht. Der erste Rechtsfall der Gruppen verzögerte das Projekt um über ein Jahr.
Schätzungen zufolge gelangen in Europa jährlich bis zu 167.000 Tonnen Kunststoffgranulat - der Rohstoff für die Herstellung von Kunststoff, die sogenannten Nurdles - in die Umwelt. Damit ist Plastik-Granulat die zweitgrößte Quelle für die primäre Verschmutzung durch Mikroplastik.
Der Hafen von Antwerpen liegt in unmittelbarer Nähe eines Natura-2000-Gebiets, das von der EU zum Schutz von Lebensräumen und Wildtieren ausgewiesen wurde. Aus den bestehenden Kunststoffanlagen im Hafen dringt bereits jetzt Plastik-Granulat nach außen. Dieses lagert sich im Boden ab und kann flussabwärts getragen werden. Verschiedene Lebensräume sind daher erheblich beeinträchtigt. Das Plastik-Granulat bedroht gefährdete Vogelarten, welche die eiförmigen Kügelchen häufig fressen.
Das Problem ist nicht auf Belgien beschränkt. Aufgrund seiner Lage an der Landesgrenze werden sich die Umweltbeeinträchtigungen von „Project One“ wahrscheinlich auch auf die Niederlande auswirken. Anfang dieses Jahres veröffentlichte die Plastic Soup Foundation den Bericht eines Whistleblowers, aus dem hervorging, dass die Westerschelde bereits stark mit Plastik-Granulat verschmutzt ist. Viele dieser Kunststoffkügelchen stammen von Herstellen aus Antwerpen.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2020 und der Flämischen Umweltagentur (Vlaamse Milieumaatschappij) liegen die Stickstoffwerte in Flandern weit über den empfohlenen sicheren Werten, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen haben kann. „Project One“ wird das Problem der Stickstoffverschmutzung in der Region weiter
verschärfen. Stickstoff entsteht bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe.
Die Herstellung von Kunststoffen ist der größte Treiber für petrochemische Produkte, die aus Öl und Gas gewonnen werden. Unternehmen der Petrochemie sind daher die Haupttreiber der weltweiten Nachfrage nach fossilen Brennstoffen, da sie die Derivate fossiler Brennstoffe hauptsächlich zur Herstellung von Kunststoffen verwenden.
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von FairFin zeigt, dass mehrere der weltweit größten internationalen Banken in den letzten fünf Jahren zusammen fast 22 Milliarden Euro in nur zwei petrochemische Unternehmen - INEOS und Borealis – investiert und sich damit einem erheblichen finanziellen Risiko ausgesetzt haben.
Laut der Umweltverträglichkeitsprüfung von INEOS für „Project One“ sind etwa 90 % der weltweiten Ethylenproduktion für Kunststoffanwendungen bestimmt. Nach Angaben des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) können etwa 63 % der weltweiten Ethylenproduktion mit der Herstellung von Kunststoffen in Verbindung gebracht werden, welche der Definition von Einwegkunststoffen sehr nahe kommen.
In einem Bericht von Material Economics wurde festgestellt, dass Kunststoffe wie ein langsam verbrennendes System funktionieren, da sie in jeder Phase ihres Lebenszyklus Kohlenstoffemissionen freisetzen. Dem Bericht zufolge würden selbst bei einer hohen Recyclingrate von 70 % (gegenüber weniger als 10 % heute) etwa zwei Drittel des Kohlenstoffs innerhalb von 15 Jahren als CO2 in die Atmosphäre gelangen.
Eine aktuelle Analyse der IEEFA zeigt auch die existenziellen Risiken von „Project One“ auf. In dem Briefing wird die Lebensfähigkeit des Projekts in Frage gestellt, indem eine Reihe finanzieller Schwachstellen aufgezeigt werden.
Tatiana Luján ist eine in Kolumbien zugelassene Anwältin.