ClientEarth
20. September 2024
Wir gehen gerichtlich gegen die deutsche Regierung und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vor, weil sie die EU-Vorschriften für Pestizide nicht einhalten. Deutschland hätte bereits vor dreizehn Jahren, nach der Einführung der EU-Richtlinie, einen hinreichend bestimmten und verbindlichen gesetzlichen Rahmen vorlegen müssen, der klärt, welche Maßnahmen zur Umstellung auf pestizidärmere Landwirtschaft Bäuerinnen und Bauern ergreifen können, welche Unterstützung und Beratung sie dabei bekommen und unter welchen Umständen Pestizideinsatz erlaubt sein soll.
Da es in Deutschland bis jetzt kein hinreichend bestimmtes und verbindliches Regelwerk gibt, gibt es auch keinen Rahmen für sicherere Alternativen oder für die Reduzierung des Pestizideinsatzes im Land. Deshalb verklagen wir die Bundesregierung und fordern, dass Deutschland die Gesundheit seiner Umwelt und seiner Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt.
Es gibt verschiedene Arten, um Getreide oder andere Kulturpflanzen vor Schädlingen zu schützen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von industriell hergestellten Pflanzenschutzmitteln, die meistens auf chemischer Basis gegen Schädlingsbefall wirken – sie werden als Pestizide bezeichnet.
Diese Pestizide sind hochgradig gefährlich, weil sie nicht nur die Schädlinge töten, gegen die sie eingesetzt werden, sondern darüber hinaus auch für viele weitere Arten schädlich sind – auch für den Menschen. Ganze Ökosysteme leiden unter dem Einsatz und der Wirkung von Pestiziden.
Für den menschlichen Körper sind sie gefährlich, da langfristiger Kontakt mit Pestiziden Krebs auslösen kann. Die Weltgesundheitsorganisation stuft sie als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. Sie können Hormonstörungen verursachen, die schließlich zu Fruchtbarkeitsproblemen und Geburtsfehlern, neurologischen Störungen wie Parkinson und Alzheimer sowie Atemwegserkrankungen wie Asthma führen können.
Die Auswirkungen auf die Biodiversität sind noch weitreichender und unmittelbarer. Pestizide unterscheiden nicht zwischen den Schädlingen, die sie bekämpfen sollen und anderen Tieren. Insekten, die wir zur Bestäubung unserer Nahrung benötigen, wie Schmetterlinge, Bienen und Marienkäfer, können geschädigt oder sogar getötet werden. Die Biodiversität leidet immens darunter, zwischen 1989 und 2014 ist der Bestand bestimmter Insekten in Deutschland um bis zu 76 Prozent zurückgegangen. Aufgenommene Pestizide können dann in der Nahrungskette nach oben wandern, da sich andere Arten von diesen kleineren Insekten ernähren. Igel, Vögel und Amphibien haben alle unter einem Populationsrückgang gelitten, der teilweise auf den Einsatz von Pestiziden zurückzuführen ist.
Wenn Wildtiere leiden, leiden auch die Ökosysteme. Wenn Pestizide die im Boden lebenden Organismen wie Regenwürmer und Mikroben schädigen, nimmt die Bodengesundheit ab, was die landwirtschaftliche Produktivität verringert. Das liegt daran, dass Pestizide nicht gezielt gegen Arten wirken, die für die Landwirtschaft schädlich sind, sondern schlichtweg alles angreifen. Dadurch werden auch diejenigen Insekten angegriffen, die als Bestäuber eine wichtige Funktion für die Natur, aber auch für den landwirtschaftlichen Anbau von Erntepflanzen erfüllen.
Wenn es weniger Insekten gibt, fallen Ernten geringer aus. Zusätzlich verunreinigen Pestizidabflüsse unsere Gewässer und beeinträchtigen Trinkwasserquellen sowie empfindliche Süßwasser- und Meereslebensräume.
Die EU-Richtlinie (Sustainable Use of Pesticides Directive = SUD) setzt sich dafür ein, Pestizide nicht zu verbieten, sondern legt das Prinzip „so wenig wie möglich“ zugrunde. Ist die Richtlinie umgesetzt, dürfen Pestizide zwar immer noch eingesetzt werden, aber nur noch als "ultima ratio" oder letztes Mittel. Das bedeutet, dass Pestizideinsatz insgesamt reduziert werden kann, weil er nicht mehr Standard, sondern nur noch Ausnahme ist. Es gibt bereits jetzt bäuerliche Betriebe, die komplett auf mineralische Düngemittel, Pestizide oder Herbizide (Mittel gegen „Unkraut“) verzichten. Jüngste Forschung konnte zeigen, dass Grün- und Ackerland mehr Leistungen für alle erbringen kann, wenn weniger Pestizide eingesetzt werden. Gemeint ist damit die Bereitstellung von sogenannten Ökosystemleistungen, die die vielfältigen Vorteile beschreiben, die natürliche Ökosysteme den Menschen bieten.
Die SUD sieht vor, dass die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um den sogenannten integrierten Pflanzenschutz in der Landwirtschaft anzuwenden. Darunter versteht man eine Form von Landwirtschaft, in der etwa durch die Auswahl resilienter Sorten oder eine bestimmte Reihenfolge im Anbau dafür Sorge getragen wird, dass ein Befall von Schädlingen – und damit die Notwendigkeit von Pestiziden – unwahrscheinlicher wird. Außerdem setzt der integrierte Pflanzenschutz unter anderem auf eine sorgfältige Überwachung von genau definierten Schwellenwerten, sodass der Einsatz von Pestiziden bewusst und zielgerichtet erfolgt und auch genau dokumentiert wird, um eine Überdosierung zu verhindern. Die Pestizide, die beim integrierten Pflanzenschutz angewendet werden, sind dabei auch zielartenspezifischer als herkömmliche Mittel und haben weniger Nebenwirkungen.
Solche ganzheitlichen Ansätze zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft sind der Schlüssel, um Ökosysteme langfristig zu schützen und zu erhalten. Ökosysteme sind durch steigende Temperaturen, Extremwetterereignisse wie Dürren und Fluten und dem zunehmendem Artensterben schon jetzt enorm unter Druck. Der unkontrollierte und übermäßige Einsatz von Pestiziden verstärkt diese Entwicklungen zusätzlich. Dabei sind gesunde Ökosysteme auch gerade für die Landwirtschaft von riesiger Bedeutung:
Wir brauchen Bakterien, Insekten, Würmer und Nager, damit auf Feldern auch Früchte wachsen – sie bestäuben die Pflanzen, düngen die Erde und lockern sie auf.
Deutschland muss nun dringend einen Plan zur Umsetzung der EU-Richtlinie über die nachhaltige Nutzung (SUD) von 2009 in nationales Recht vorlegen. Ziel der SUD ist es, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes verbindlich zu machen.
Beim integrierten Pflanzenschutz wird die Schädlingsbekämpfung ganzheitlich betrachtet, man schützt Pflanzen so weit wie möglich und fördert natürliche Mechanismen zur Schädlingsbekämpfung, und stört landwirtschaftliche Ökosysteme so wenig wie möglich.
Die SUD folgt dem Motto „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ – das bedeutet, chemische Pestizide sollten nur verwendet werden, wenn alle sichereren Alternativen ausgeschöpft sind. Es ist die Aufgabe der Mitgliedstaaten und deshalb auch von Deutschland, die SUD in einen verbindlichen und hinreichend bestimmten gesetzlichen Rahmen im innerstaatlichen Recht zu implementieren.
Wir brauchen funktionierende Ökosysteme, denn sie dienen als Grundlage für unsere Ernährungssicherheit. Der intensive Einsatz von Pestiziden ist damit nicht vereinbarClientEarth Juristin Dr. Jennifer Seyderhelm,
Unsere Klage zielt darauf ab, diese Lücke zwischen Empfehlungen und verbindlichen gesetzlichen Vorschriften zur Begrenzung des Pestizideinsatzes zu schließen.
Darüber hinaus muss die Landwirtschaft in jeder Hinsicht nachhaltig sein – nicht nur in Bezug auf den Pestizideinsatz. Eine Bodenzerstörung durch Monokulturen, während der Klimawandel weiterhin die Umwelt schädigt, kann kein langfristiger Plan sein.
Das landwirtschaftliche System sollte regenerativ gestaltet sein um sowohl die Existenzgrundlage der Landwirt*innen zu sichern als auch den Schutz der Umwelt zu gewährleisten.
Mit einer Spende ermöglichen Sie uns, entscheidende Verfahren zum Schutz des Lebens auf der Erde voranzutreiben, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Melden Sie sich für unseren Newsletter an und erfahren Sie einfach und direkt über wichtige Erfolge und Aktionen für den Schutz unserer Umwelt.