ClientEarth
13. Oktober 2022
Im Kampf gegen den Verfall des Planeten entwickelt sich kaum ein Feld so dynamisch wie das der Umwelt- und Klimaklagen. Seit unserem Einführungsartikel vom Februar 2021 hat sich so viel getan, dass die dritte Auflage der Online-Seminarreihe „Mit Recht das Klima retten?“ durch diese kurze Darstellung aktueller Entwicklungen und unterschiedlicher rechtlicher Ansätze eingeleitet werden soll.
Laut dem Grantham Institute der London School of Economics wurden bis heute über 2.000 Klimaklagen global erhoben. Ungefähr ein Viertel dieser Klagen wurden zwischen 2020 und 2022 eingereicht. Es ist somit erkennbar, dass Aktivist*innen und NGOs beim Einsatz juristischer Werkzeuge strategischer werden, unterschiedliche Ansätze verfolgen und sich mit ihren Beschwerden an verschiedenste Rechtsorgane wenden. Das ist zum Einen darauf zurückzuführen, dass progressive Koalitionen koordiniert agieren, und zum Anderen ersten empirischen Erkenntnissen zur Effektivität verschiedener Vorgehensweisen zu verdanken.
Die Online-Seminarreihe “Mit Recht das Klima retten” geht in die dritte Runde. Die Heinrich-Böll-Stiftung, der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen, Green Legal Impact Germany e.V., ClientEarth und Germanwatch laden Studierende, angehende Jurist*innen – und natürlich auch alle anderen Interessierten – ein, das Thema Umwelt(un)gerechtigkeit im Kontext von Klima- und Umweltklagen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Die Klimakrise wird ungleich verursacht und wirkt sich ebenso ungleich aus. Diejenigen, die von klimaschädlichen Aktivitäten am meisten profitieren, schultern den kleinsten Teil ihrer verheerenden Auswirkungen. Die Risiken und Schäden tragen heute und in Zukunft überwiegend diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen. Der Begriff „Umweltgerechtigkeit“ beschreibt dabei eben diese (ungleiche) Verteilung der sozialen und gesundheitlichen Belastungen.
In der dritten Staffel unserer Seminarreihe wollen wir uns mit den vielschichtigen Aspekten und nationalen sowie internationalen Verflechtungen der Umweltgerechtigkeit beschäftigen und anhand von konkreten Fallbeispielen einen Einblick in die juristische Praxis geben.
Die Anmeldung erfolgt über die Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung.
Fälle zu Umwelt- und Klimagerechtigkeit werden wichtiger
Zudem werden Fälle wichtiger, in denen Umwelt- und Klimagerechtigkeit eine Rolle spielen: Der sozioökonomische Status einer Person lässt oft Rückschlüsse auf deren Belastung durch Umweltverschmutzung und Klimaschäden zu. Diejenigen, die am wenigsten zu Umwelt- und Klimaschäden beigetragen haben, schultern heute und in der Zukunft den größten Teil der Lasten. Diesen letzteren Umstand hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss Neubauer et al. aufgegriffen. Wie auch bei den darauffolgenden Klagen waren es hier hauptsächlich Kinder und junge Erwachsene, die Beschwerde erhoben. In seinem Beschluss hielt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Art. 20a des Grundgesetzes den Gesetzgeber verpflichtet, das verbleibende Treibhausgasbudget und die damit verbundenen Lasten aus der Transformation zur Klimaneutralität gerecht über Generationen hinweg zu verteilen. Mit dieser „intertemporalen Sicherung von Freiheitsrechten“, wurde der Gesetzgeber verpflichtet, den Transformationspfad zur Klimaneutralität so zu regeln, dass die damit einhergehenden Lasten nicht einseitig auf künftige Generationen übertragen werden. Das Bundesverfassungsgericht nimmt mit seiner Entscheidung eine zeitgemäße Neubestimmung des Freiheitsbegriffs in der Klimakrise vor. Aus der Verpflichtung des Staates, die Freiheitschancen der jungen Generation auch für die Zukunft zu schützen, ergibt sich eine Verpflichtung, in der Gegenwart mehr Klimaschutz zu betreiben.
Die Umwelt- und Klimakrise ist in Verursachung und Auswirkung langwierig und die Wissenschaft ist sich einig: Die Effekte der Klimakrise die wir schon heute spüren, werden in Zukunft an Intensität und Häufigkeit zunehmen. In diesen zeitlichen Dimensionen muss auch das Recht denken können. Hierin zeigt sich die strategische Vorgehensweise der jungen Beschwerdeführer*innen. Auf Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts wurden zehn weitere Klagen erhoben, die sich gegen einzelne Bundesländer und deren fehlende oder unzureichende Klimamaßnahmen richteten. Im Januar 2022 wurden diese jedoch abgelehnt. Eine weitere Folgeklage – Steinmetz et al. – knüpft ebenfalls an den erfolgreichen Beschluss an und moniert die unzureichende Umsetzung des Urteils durch den Bundesgesetzgeber. Dieses Vorgehen steht beispielhaft für einen Reifeprozess der Klimaklagen. Nachdem durch politisches Engagement Rechtsgrundlagen geschaffen wurden (u.a. Pariser Abkommen, oder das deutsche Klimaschutzgesetz), werden nun deren wirksame Implementierung und Durchsetzung eingeklagt.
Mit Recht Gerechtigkeit schaffen?
Die genannten Rechtsgrundlagen verpflichten dabei in erster Linie Staaten. Ein Großteil der klima- und umweltschädlichen Aktivitäten lassen sich jedoch Unternehmen zuschreiben. Und auch hier spielt der Aspekt der (Un)gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Unternehmen emittieren Treibhausgase aus einem Bereicherungsmotiv. Die Kosten, die mit der Überbeanspruchung der Erde durch Unternehmen einhergehen, werden von ihnen jedoch externalisiert – also anderen, die nicht von ihrer Geschäftsaktivität profitieren, aufgebürdet. Auch hier ist das Recht ein wichtiges Mittel, um Gerechtigkeit zu schaffen. Mehrere Klagen in Deutschland verfolgen das Ziel, diese Externalisierung umzukehren und den Unternehmen die Kosten ihres eigenen Handelns aufzuerlegen. Hierzu zählt der inzwischen viel besprochene Fall RWE, der seit dem Jahr 2015 vor den deutschen Gerichten anhängig ist. In diesem zivilrechtlichen Fall, der auch Teil der 3. Staffel der Seminarreihe sein wird, klagt der Bergbauer Saúl Luciano Lliuya aus der peruanischen Andenstadt Huaraz gegen den deutschen Energiekonzern RWE. Das Haus des Klägers ist durch eine Flutwelle eines anwachsenden Gletschersees bedroht. Die Ursache dafür ist der Klimawandel, den RWE durch sein Geschäftsmodell mitverursacht. RWE ist Europas größter Treibhausgasemittent und für rund 0,5 Prozent aller weltweit seit der Industrialisierung getätigten CO2-Emissionen verantwortlich. Luciano Lliuya fordert, dass sich das Unternehmen an dringend notwendigen Schutzmaßnahmen beteiligt. Die Gefahrenzone in Huaraz umfasst ein Gebiet, in dem mehr als 50.000 Menschen leben.
Mit dem Beschluss von 2017 zum Eintritt in die Beweisaufnahme schrieb das Oberlandesgericht Hamm Rechtsgeschichte: Erstmals weltweit stellte ein Gericht fest, dass ein privates Unternehmen prinzipiell für den Schutz von Betroffenen vor mitverursachten Klimarisiken zur Verantwortung gezogen werden kann – gemäß seines Anteils an der Verursachung. Für die Beweisaufnahme führte das Gericht im Mai 2022 einen gerichtlichen Ortstermin in Huaraz durch, um die Gefahrenlage vor Ort in Augenschein zu nehmen.
Bei diesem Fall geht es um unternehmerische Haftung für Klimarisiken und -schäden. Zugleich ist aber auch die freie Entfaltung des Menschen in der Zukunft gefährdet, darum zielen Rechtsfälle auf deren Wahrung ab. Um zu verstehen, wie wir uns in einem ökologisch sicheren Rahmen (wirtschaftlich) entfalten können, ermitteln Wissenschaftler*innen, basierend auf dem im Paris-Abkommen definierten 1,5-Grad-Ziel, verbleibende CO2-Budgets. Um verheerendste Klimaauswirkungen zu vermeiden, dürfen wir diese CO2-Budgets nicht überschreiten. Einen solchen Unterlassungsanspruch machen Kläger*innen zurzeit gegenüber mehreren deutschen Unternehmen geltend – darunter auch in Metz et al., v. Wintershall Dea. Das Unternehmen fördert und verkauft Öl und Gas. Im Verfahren vor dem Landgericht Kassel fordern die Kläger*innen Wintershall Dea auf, nicht mehr als 0,93 Gigatonnen CO2 zu emittieren und so nicht die CO2-Budgets der Kläger*innen aufzuzehren. Auch hierin zeigt sich das Streben nach Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Die Entfaltung d.h. Produktionsweise Wintershall Deas darf nicht zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der Entfaltung und Rechte Dritter führen. Vergleichbare Klagen wurden gegen BMW, Daimler und VW erhoben.
Klagen gegen illegale Abholzung des Regenwaldes
Nicht nur in Deutschland nutzen Menschen das Recht, um Umwelt- und Klimagerechtigkeit zu erstreiten: Der brasilianische Amazonas-Regenwald, die Heimat indigener Völker und über drei Millionen Spezies, ist eine natürliche Senke und wichtiger Speicher von CO2. In den letzten Jahren jedoch wurde der Regenwald durch staatliche sowie private Akteure meist „wirtschaftlich verwertet“, also zerstört, anstatt als Senke und Lebensraum erhalten. Hiergegen wendet sich eine breite Koalition brasilianischer Oppositionsparteien und NGOs mit ihrer Klage PSB et al. v. Brasilien (ADPF 760), zu Abholzung und Menschenrechten. Sie verlangen die Umsetzung eines bestehenden Aktionsplans gegen illegale Abholzung des Regenwalds und bringen vor, dass diese Abholzung die Rechte indigener Völker und zukünftiger Generationen verletze. Am 30. März 2022 hörte der Brasilianische Bundesgerichtshof sechs weitere Fälle, die sich gegen die Umwelt- und Klimapolitik der Bolsonaro-Regierung richten und zeigt damit, welchen Stellenwert es diesen Fällen zumisst.
Anfang Juli befand das höchste Gericht Brasiliens in einem weiteren Fall, PSB et al. v. Brazil (ADPF 708), zum Klimafonds, dass umweltrechtliche Abkommen, so auch das Pariser Abkommen, eine Form von Menschenrechtsverträgen seien und somit supranationalen und „supralegalen“ Status genießen. In der Rechtshierarchie stünden diese Menschenrechtsverträge daher über „regulären“ Gesetzen. Demnach können z.B. nationale Gesetze, die mit dem Pariser Abkommen nicht übereinstimmen, als ungültig befunden werden. Darüber hinaus stellen staatliche Handlungen oder Unterlassungen, die diesem Schutz zuwiderlaufen, einen direkten Widerspruch gegen die Verfassung und die darin garantierten Menschenrechte dar, u.a. das Recht auf eine gesunde Umwelt.
UN erkennt Recht auf eine gesunde Umwelt als Menschenrecht an
Das Recht auf eine gesunde Umwelt wird weltweit von ca. 155 Staaten im nationalen Recht anerkannt – in Verfassungen sowie in Umweltgesetzen. Seit Juli 2022 wurde dieses nun auch auf internationaler Ebene durch die UN-Vollversammlung als Menschenrecht anerkannt. Die Resolution, wenn auch (noch) nicht rechtsverbindlich, ist ein wichtiger Schritt für rechtliche und politische Maßnahmen auf nationaler sowie internationaler Ebene.
Auch auf internationaler Ebene bemüht der Inselstaat Vanuatu sich weiterhin um ein Rechtsgutachten des International Gerichtshofs (IGH) zu Klimawandel und Menschenrechten. Angestoßen durch die Pacific Islands Students Fighting Climate Change, will die Republik Vanuatu der UN-Vollversammlung im Herbst 2022 eine Resolution vorlegen. Erreicht diese in der Vollversammlung eine einfache Mehrheit, soll ein anschließendes Gutachten des IGH staatliche Verpflichtungen gegenüber heutigen und zukünftigen Generationen im Angesicht des Klimawandels klären und sich somit auch mit der Frage der Generationengerechtigkeit befassen. Diese Bemühungen waren bereits letztes Jahr Thema eines unserer Online-Seminare. Auch dieses Jahr wollen wir uns wieder der IGH-Kampagne widmen, besprechen was seit letztem Jahr passiert ist und wie sich Entwicklungen, wie z.B. das Recht auf eine gesunde Umwelt, auf diese Bemühungen auswirken.
Klimakrise bedroht Gesundheit und Lebensgrundlagen
Die Verflechtung von Grund- und Menschenrechten mit Umwelt und Klima sind unumstritten. Um deren Sicherung, sowie um das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlicher Verwertung natürlicher Lebensgrundlagen, geht es auch in dem Fall Greenpeace Nordic v. Norway. 2016 hatte Norwegen mehrere Lizenzen zur Erforschung neuer Öl- und Gasfelder in der Arktis ausgegeben und damit, so die Beschwerdeführer*innen, ihr Recht auf Leben (Artikel 2) und ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8) unter der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Nachdem die Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb Norwegens ohne Erfolg ausgeschöpft worden sind, wenden sich die Beschwerdeführer*innen nun an den Europäischen Menschengerichtshof (EGMR). Nicht nur in diesem Fall wird der EGMR eine entscheidende Rolle in der Ausformung des europäischen Klimarechts und -schutzes spielen. In der 2. Staffel unserer Seminarreihe wurde der Fall der KlimaSeniorinnen besprochen. Sie gehen gegen die unzureichende Klimapolitik der Schweiz vor und berufen sich vor dem EGMR auf dieselbe rechtliche Grundlage. Im Sommer 2022 trat die für den Fall zugewiesene Kammer ihre Zuständigkeit an die Große Kammer ab. Gleiches gilt für die Klage sechs portugiesischer Kinder und Jugendlicher, die in Straßburg 33 Vertragsstaaten der EMRK auffordern, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Diese Entscheidungen unterstreichen die Bedeutung, die der Gerichtshof diesen Verfahren und den damit verbundenen Fragen zu Klima und Menschenrechten beimisst, denn die Große Kammer beschäftigt sich vor allem mit Fällen, die grundlegende und wichtige Fragen zur Auslegung oder Anwendung der EMRK aufwerfen.
Die Klimakrise bedroht die Gesundheit und Lebensgrundlagen vieler Menschen und es werden stetig mehr. Wie dieses kurze Update zeigt, ist es daher nicht verwunderlich dass die Ansätze von Klimaklagen sich stets weiterentwickeln und diverser werden. Sie basieren auf unterschiedlichsten Rechtsgrundlagen und verfolgen eine Bandbreite an Zwischenzielen. Ähnlich wie im Umweltbereich richten sich Klimaklagen nicht mehr nur auf die Etablierung, sondern auch auf die Durchsetzung von Rechtsgrundlagen. Zudem werden Aspekte der Gerechtigkeit verstärkt von Kläger*innen und Gerichten berücksichtigt. Mit all dem rückt das Klima zunehmend “in die Mitte des Rechts“ und wird für Jurist*innen umso interessanter. Die bestehende Lücke in der universitären und praktischen Ausbildung wollen wir mit der dritten Auflage unserer Online-Seminarreihe weiter verkleinern und freuen uns auf angeregten Austausch zum Thema Umwelt(un)gerechtigkeit mit allen Interessierten!
Die Autor*innen danken Marlene Becker, Annette Kraus, Henrike Lindemann, Linda Schneider und Caroline Schröder für ihre wertvollen Kommentare.
Lea Main-Klingst ist Juristin für internationales Recht im Berliner Büro von ClientEarth.
Simon Simanovski ist Jurist im Klima- und Energierecht. Er absolviert zurzeit sein Referendariat am OLG Brandenburg.