Pressemitteilung: 9. Dezember 2024
Chemieunternehmen in der EU bringen ungestraft giftige Substanzen auf den Markt, wie ein neuer Bericht zeigt
Die schädlichsten Chemikalien, darunter auch krebserregende Stoffe, werden in der EU illegal verwendet. Dies setzt Arbeitnehmer*innen und möglicherweise auch die Bevölkerung und Umwelt einer erheblichen Gefahr aus, wie ein neuer Bericht der Umweltrechtsorganisation ClientEarth zeigt.
Gemäß dem maßgeblichen EU-Gesetz für Chemikalien, REACH, dürfen die schädlichsten Stoffe (die als „besonders besorgniserregend“ eingestuft sind) in der EU nur verwendet werden, wenn eine Zulassung für eine bestimmte Verwendung erteilt wurde – dies wird als Zulassungssystem bezeichnet. Ziel der Zulassung ist es, sicherzustellen, dass gefährliche Stoffe nach Möglichkeit durch sicherere Alternativen ersetzt werden.
Frühere Daten haben jedoch gezeigt, dass 40 % der kontrollierten Unternehmen ihren gesetzlichen Pflichten im Rahmen des Zulassungssystems nicht nachkommen. Dazu zählten auch Unternehmen in Deutschland. Der neue Bericht von ClientEarth deckt die Gründe dafür auf und beschreibt den gravierenden Mangel an Durchsetzung der EU-Chemikalienvorschriften sowie einen enormen Mangel an Transparenz. Zu den Ergebnissen gehören:
- Inspektionen sind selten und Verstöße werden daher selten geahndet. In den untersuchten Ländern – Deutschland, Frankreich und Spanien – gibt es so gut wie keine Bußgelder. Stattdessen sind „schriftliche Hinweise“, Briefe der zuständigen Behörde oder formelle Mitteilungen die häufigste Sanktion, die von den nationalen Vollzugsbehörden verhängt wird.
- Die Europäische Kommission hat noch nie eine Zulassung entzogen, selbst wenn ein Verstoß festgestellt wurde.
- Die europäischen Behörden haben keine Übersicht über die Vollzugspraktiken auf nationaler Ebene und tun wenig um dies zu ändern.
- Als ClientEarth in Spanien, Frankreich und Deutschland Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz stellte, weigerten sich Deutschland und Spanien, Daten weiterzugeben, die über das hinausgehen, was bereits öffentlich zugänglich ist.
- In Deutschland fehlt zudem den für REACH zuständigen Behörden, also dem Bundesumweltministerium und der Bundesstelle für Chemikalien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), eine Übersicht darüber, welche Regelungen in den Ländern bereits vollzogen wurden. Damit kommen sie nicht der Verpflichtung nach REACH nach, eine effektive Durchsetzung der Vorschriften zu gewährleisten. Im Rahmen der Informationsanfrage unternahm das Land zudem große Anstrengungen, um die Identität von Unternehmen, die gegen die Vorschriften verstoßen, geheim zu halten. Laut der Europäischen Chemikalienagentur kündigte Deutschland an, gegebenenfalls das „Enforcement Forum“ der Agentur zu verlassen, wenn diese Informationen an uns weitergegeben würden.
Die ClientEarth-Rechtsexpertin, Hélène Duguy, sagte: „Die Menschen vertrauen wahrscheinlich darauf, dass sie von den EU-Gesetzgebern vor gefährlichen Chemikalien geschützt werden. Unser Bericht zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Problem ist zweifach: Einerseits versagen die europäischen Behörden eklatant bei der Durchsetzung der Vorschriften und der Bestrafung von Regelbrechern. Andererseits wird durch die schwache Durchsetzung illegales Geschäftsverhalten und das Gefühl der Straflosigkeit für Unternehmen verstärkt.
„Diese Realität vor der Öffentlichkeit zu verbergen, verstärkt nur die mangelnde Rechenschaftspflicht der Behörden. Die Menschen haben das Recht zu wissen, welchen Chemikalien sie ausgesetzt sein könnten und was dagegen unternommen wird.“
Die meisten Verstöße betreffen Chromtrioxid – eine Chemikalie, die durch Erin Brokovich bekannt wurde und in der EU nach wie vor weit verbreitet ist. Diese Chemikalie verursacht Krebs und Genmutationen und steht im Verdacht, fortpflanzungsgefährdend zu sein. Sie wird in der Industrie eingesetzt, beispielsweise als Schutz- oder manchmal auch nur als Zierbeschichtung für Metallprodukte. Arbeitnehmer*innen sind besonders gefährdet, da sie diesen Chemikalien direkt ausgesetzt sind. An über 1.000 Standorten in ganz Europa wird derzeit Chromtrioxid für die Oberflächenbehandlung und Beschichtung verwendet.
Duguy fügte hinzu: „Das derzeitige System ermöglicht es, dass extrem gefährliche Chemikalien wie Chromtrioxid auf dem Markt unsachgemäß verwendet werden, selbst wenn sie von den Behörden auf die schwarze Liste gesetzt wurden. Sanfte Ermahnungen zur Einhaltung der Vorschriften reichen nicht aus. Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen.“
Die Jurist*innen von ClientEarth fordern die Behörden auf, auf Ebene der Mitgliedstaaten Verantwortung zu übernehmen, indem sie illegale Chemikaliennutzungen rigoros aufdecken und bestrafen und die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen. Auf EU-Ebene muss die Kommission eingreifen und zuvor erteilte Genehmigungen zurückziehen, wenn Verstöße festgestellt werden.
ENDE
Hinweise an die Redaktion:
Um Zugang zum neuen, englischsprachigen Bericht von ClientEarth „Catch them 'cause you can: How lenient enforcement of REACH authorisations lets companies get away scot-free“ zu erhalten, wenden Sie sich bitte an arivalier@clientearth.org.
Über ClientEarth – Anwälte der Erde
ClientEarth – Anwälte der Erde ist eine Nichtregierungsorganisation, die das Recht nutzt um die Erde und ihre Bewohner*innen zu schützen. Zusammen mit Bürger*innen und unseren Partnerorganisationen in Deutschland, Europa und weltweit arbeiten wir an Themen wie Klimawandel, Naturschutz und Umweltverschmutzung. Wir nehmen die Industrie und Regierungen in die Verantwortung, um das Leben auf der Erde und das Recht auf eine gesunde Umwelt zu schützen. Mit Büros in Europa, Asien und den USA setzen wir bestehendes Recht durch, unterstützen unterschiedliche Akteur*innen in Umweltverfahren und wirken bei der Gesetzgebung und der Entwicklung des Rechts mit. Wir streben eine nachhaltige und systematische Transformation an, denn eine Welt, in der Mensch und Planet gemeinsam gedeihen, ist nicht nur möglich – sie ist notwendig.
Pressekontakte
Johanna Famulok, Senior Communications Officer, ClientEarth, jfamulok@clientearth.org , Tel. +49 30 726211926