Pressemitteilung

Einigung über rechtliches Abkommen zur Wiederherstellung der Natur – jedoch mit einigen Schlupflöchern

Intensive Trilog-Verhandlungen in der letzten Nacht abgeschlossen

Am späten Donnerstagabend wurden die intensiven Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament, der Kommission und dem Rat über das mit Spannung erwartete Abkommen zur Wiederherstellung der Natur mit einer politischen Einigung zwischen den drei Institutionen abgeschlossen.

Wir freuen uns, dass alle ursprünglich im Gesetz berücksichtigten Ökosysteme auch weiterhin in der Vereinbarung enthalten sind, allerdings wurden die Vorschläge der Kommission inhaltlich stark abgeschwächt. Enttäuschend sind die vielen Ausnahmeregelungen und der übermäßige Spielraum bei den Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten.

Hier unsere erste Reaktion auf die Verhandlungsergebnisse:

  • Die Verpflichtung der EU-Staaten zur Wiederherstellung der Natur an Land, in Flüssen und Meeren, wurde nicht ausschließlich auf Natura-2000-Gebiete beschränkt, sondern es wurden erhebliche Schlupflöcher eröffnet. Die Gesamtfläche, die wiederhergestellt werden muss, könnte somit verringert werden.
  • Auch die Anforderung, eine Verschlechterung des Zustands verbleibender natürlicher Lebensräume zu verhindern, wurde stark ausgehöhlt und das wird sich vermutlich negativ auf die Umsetzung konkreter Maßnahmen auswirken.
  • Glücklicherweise umfasst der Gesetzentwurf nun wieder konkrete Anforderungen zur Wiederherstellung von Mooren und Renaturierungsmaßnahmen in landwirtschaftlichen Ökosystemen. Die Wiedereinführung dieser Artikel war jedoch mit erheblichen Zugeständnissen verbunden, es wird den Mitgliedsstaaten z.B. die Möglichkeit eingeräumt, die Umsetzung der rechtlichen Vorschriften auszusetzen - was auch als „Notbremse“ bezeichnet wird.

Die Trilog-Verhandlungen haben sich als schwierig erwiesen, da der Rat und die Kommission versuchten, eine gemeinsame Basis für die deutlich schwächere Position des Parlaments zu finden.

Das Gesetz, mit dem ursprünglich die Wiederherstellung von mindestens 20 Prozent der Natur an Land, in Flüssen und Meeren in der EU bis 2030 erreicht werden sollte, wurde unerwartet zum Ziel einer aggressiven Desinformations-Kampagne, die von Manfred Webers EVP-Fraktion angeführt wurde. Mit allen Mitteln wurden falsche Informationen gestreut und andere Politiker*innen beeinflusst, damit das Gesetz niemals das Licht der Welt erblickt. Und auch wenn die EVP dieses Ziel nicht erreicht hat, ihre Kampagne hatte Folgen: Bei der Verabschiedung des Standpunkts des Parlaments wurden bereits zahlreiche Ziele verwässert. Viele Kompromisse und Zugeständnisse wurden gemacht, um allen Beteiligten entgegenzukommen, in der Erwartung, auch von den konservativsten Fraktionen Unterstützung zu erhalten.

Die Forderung nach einem wirkungsvollen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wurde in den letzten Monaten von mehr als einer Million Menschen aus der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt [1].

Die erzielte Einigung muss nun von den Mitgliedstaaten gebilligt werden und später in diesem Jahr eine entscheidende Abstimmung im Umweltausschuss des EU-Parlaments durchlaufen, wo konservative Gruppen erneut versuchen könnten, das Gesetz zu torpedieren. Wenn der Vorschlag diese Schritte erfolgreich durchläuft, wird er anschließend in der Plenarabstimmung des Parlaments, die voraussichtlich im Februar 2024 stattfinden wird, endgültig abgesegnet.

Wir fordern nun die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament auf, diese Trilog-Vereinbarung anzunehmen und den dringend benötigten Wiederaufbau der Natur nicht weiter hinauszuzögern. Die Maßnahmen für eine intakte Natur werden der EU helfen, die Klima- und Biodiversitätskrise zu bekämpfen.

Ioannis Agapakis, Anwalt für Naturschutz bei ClientEarth: „Wir haben endlich ein dringend benötigtes Gesetz, das die EU theoretisch dazu zwingen würde, konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer maroden Natur zu ergreifen. Die Verhandlungsführer*innen haben das Gesetz jedoch so weit ausgehöhlt, dass es in der Praxis zahnlos und anfällig für Missbrauch zu sein droht. Die zahlreichen Ausnahmeregelungen und der Mangel an rechtlichen Garantien haben einen beängstigenden Präzedenzfall für die EU-Gesetzgebung geschaffen, anstatt die EU zum Vorreiter bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt zu machen. Wenn wir unsere lebenswichtige Abhängigkeit von der Natur nicht anerkennen, werden die Menschen in der EU den katastrophalen Auswirkungen der Klima- und Biodiversitätskrise ausgeliefert sein.“

Sofie Ruysschaert, Nature Restoration Policy Officer, BirdLife Europe: „Wir sind erleichtert zu sehen, dass die Verhandlungsführer*innen die Menschen in der EU nicht völlig im Stich gelassen haben. Die Aufnahme von Wiederherstellungszielen für Ackerland und entwässerte Torfgebiete gibt uns eine gewisse Chance auf eine bessere Zukunft, mit ausreichend Nahrung und sauberem Wasser. Ob dieses Gesetz wirklich die erschütternden Auswirkungen der Klima- und Naturkrise bekämpfen wird, ist der wahre Lackmustest. Das wird sich erst zeigen, wenn die Mitgliedstaaten das Gesetz ordnungsgemäß umsetzen.“

Sergiy Moroz, Policy Manager für Wasser und Biodiversität beim EEB: „Trotz erheblicher Zugeständnisse an die Gegner*innen des einschneidenden Naturwiederherstellungsgesetzes, enthält die vorläufige Einigung mehrere positive Elemente, wie z.B. Ziele zur Umkehrung des Rückgangs der Bestäuber oder zur Wiederherstellung frei fließender Flüsse. Das Gesetz muss nun unbedingt vor den EU-Wahlen im Jahr 2024 von den Mitgliedsstaaten förmlich angenommen werden, und seine Umsetzung muss unverzüglich beginnen. Nur so kann die EU auch ihre globalen Verpflichtungen in Bezug auf Klima und biologische Vielfalt erfüllen.“

Sabien Leemans, Senior Biodiversity Policy Officer im WWF European Policy Büro: „Diese Vereinbarung ist zwar ehrgeiziger als die schwache Position des Parlaments, aber sie ist immer noch weit von dem entfernt, was nach wissenschaftlichen Erkenntnissen notwendig ist, um die Probleme des Klimas und der biologischen Vielfalt zu bewältigen. Angesichts des heftigen Widerstands gegen das Gesetz sind wir jedoch erleichtert, dass eine Einigung erzielt werden konnte. Ohne diese hätte die internationale Glaubwürdigkeit der EU stark gelitten. Es besteht nun die Hoffnung, dass die EU gemeinsame Anstrengungen unternimmt, um die Natur zurückzubringen, zum Wohle der biologischen Vielfalt, der Menschen und unseres Klimas – das ist die beste Chance, die wir haben.“

Hinweise an die Redaktion:

[1] Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wird von den EU-Mitgliedstaaten, der Windenergie- und Solarindustrie, Wissenschaftler*innen, fortschrittlichen Landwirt*innen, europäischen Jäger*innen, Finanzinstituten, europäischen Bürgermeister*innen, einer wachsenden Zahl von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie der europäischen Jugend unterstützt. Fast 1.200.000 Unterschriften und Botschaften für ein ehrgeiziges Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wurden durch verschiedene Kampagnen gesammelt, die von der #RestoreNature-Koalition (einschließlich Avaaz), WeMove und weitere gestartet wurden.

[2] Weitere Informationen über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur finden Sie unter: www.restorenature.eu

Über ClientEarth – Anwälte der Erde

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