Pressemitteilung: 20. Oktober 2022

Investorenklage gegen Volkswagen soll Klarheit über Klima-Lobbying schaffen und mögliches Greenwashing stoppen

Mit einer bislang europaweit einzigartigen Klage gehen namhafte institutionelle Anleger*innen gegen die Volkswagen AG vor. Das Unternehmen hat sich wiederholt geweigert, Transparenz über seine Lobbyaktivitäten herzustellen, die für den Klimaschutz relevant sind.

Die schwedischen staatlichen Pensionsfonds AP7, AP2, AP3, AP4, die dänische AkademikerPension und das Church of England Pensions Board befürchten, dass der Autokonzern sich zwar öffentlich um ein nachhaltiges Image bemüht, aber durch seine Mitgliedschaften in einer Reihe von Automobil- und Wirtschaftsverbänden möglicherweise politische Einflussnahme unterstützen könnte, die seinen erklärten klimapolitischen Zielen zuwiderläuft. Dieser mögliche Widerspruch, so die Investor*innen, gefährdet den Ruf sowie den Geschäftserfolg von Volkswagen und stellt somit die Sicherheit ihrer Investitionen in Frage.

Nachdem frühere Versuche, Klarheit über die möglichen Lobbyaktivitäten zu erlangen, gescheitert waren, versuchten die Investor*innen, die Ergänzung der Satzung um eine Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit auf die Tagesordnung der Hauptversammlung 2022 zu setzen – doch auch das wurde vom Unternehmen verhindert. Im nun eingeleiteten Verfahren soll das Gericht prüfen, ob VW das Recht hat, die Aufnahme eines solchen Tagesordnungspunktes bei der nächsten Hauptversammlung zu verweigern.

Die Aktionär*innen werden von der Berliner Anwaltskanzlei Hausfeld Rechtsanwälte LLP vertreten und von der Umweltrechtsorganisation ClientEarth - Anwälte der Erde unterstützt.

"Der Erfolg des Pariser Abkommens hängt von einer verantwortungsvollen Lobbyarbeit der Unternehmen ab“, so Emma Henningsson vom schwedischen Pensionsfonds AP7. „Als langfristige Anteilseigner*innen, die ein großes Interesse daran haben, dass das Unternehmen den Klimawandel erfolgreich meistert, fordern wir Volkswagen auf, sicherzustellen, dass es keine Diskrepanz zwischen seinen erklärten Klimaambitionen und seinen Lobbyaktivitäten gibt.“

„Es ist besorgniserregend, dass uns die Möglichkeit, als Aktionär die Tagesordnung der Jahreshauptversammlung mitzugestalten, verwehrt wurde. Damit hat das Unternehmen die Rechte von Minderheitsaktionär*innen in Deutschland grundsätzlich in Frage gestellt. Um unsere Rechte und die der anderen Aktionär*innen zu schützen, sehen wir daher keinen anderen Weg, als diese Grauzone des deutschen Gesellschaftsrechts gerichtlich klären zu lassen. Ein Urteil zu Gunsten der Investor*innen würde die Rechenschaftspflicht und Transparenz in deutschen Unternehmen verbessern," fügt Henningsson hinzu.

Der Rechtsanspruch stützt sich auf das deutsche Aktiengesetz, könnte aber auch Auswirkungen auf andere zivilrechtliche Systeme in Europa haben, darunter Frankreich, wo der Umfang der Rechte von Minderheitsaktionär*innen ebenfalls in Frage gestellt wird.

"Volkswagen ist derzeit nicht in der Lage nachzuweisen, dass die Lobbyarbeit, die es über seine Mitgliedschaften in Industrieverbänden betreibt und finanziert, mit seinen eigenen Klimazielen übereinstimmt“, sagt Adam Matthews, Chief Responsible Investment Officer (CRIO) des Church of England Pensions Board. „Die Unnachgiebigkeit der Unternehmensführung wirft ernste Fragen darüber auf, wovor sie Angst haben. Es ist äußerst enttäuschend, dass wir uns an die Gerichte wenden müssen, damit VW sich an Standards orientiert, die bei anderen Unternehmen in der Automobilbranche längst üblich sind. Dies ist keine unangemessene Forderung, sondern ein Schritt, den viele bereits unternommen und für gut befunden haben.“

„Weltweit reden viel zu viele großen Unternehmen von grünen Themen, versuchen aber gleichzeitig hinter den Kulissen, eine effektive Klimapolitik auszubremsen,“ betont Hermann Ott, Leiter des deutschen Büros von ClientEarth. „Nach all den negativen Schlagzeilen der vergangenen Jahre müsste Volkswagen es als ureigenes Interesse begreifen, das Vertrauen der Öffentlichkeit und ganz besonders auch der Investor*innen zurückzugewinnen. Der beste Weg, auf die Bedenken einzugehen, ist die Offenlegung von Lobbying-Aktivitäten. Ein Erfolg dieser Klage wäre auch weltweit ein Signal, dass Aktionär*innen aktiv zur nachhaltigen Umgestaltung der Unternehmen, an denen sie Anteile besitzen, beitragen können.“

Hintergrund:

Volkswagen ist Mitglied in einer Reihe von Industrieverbänden, darunter auch solchen, die sich gegen eine fortschrittliche Klimapolitik positioniert haben – darunter der Verband der Automobilindustrie (VDA), die European Automobile Manufacturers Association (ACEA) und die Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT). Allerdings hat das Unternehmen Berichten zufolge in 2019 damit gedroht, aus dem VDA auszutreten, weil dieser eine rückschrittliche Haltung zu Elektrofahrzeugen vertritt.

Während Volkswagen seine Mitgliedschaften in Wirtschaftsverbänden offenlegt, fehlt eine umfassende Berichterstattung über die Rolle des Unternehmens in den Leitungsgremien der einzelnen Organisationen. Die Frage, wie die Lobbying-Ziele und -Aktivitäten dieser Verbände mit seinen eigenen Klimazielen übereinstimmen, bleibt unbeantwortet. Ohne diese Bewertung besteht die Gefahr, dass das Unternehmen Fortschritte bei der Umsetzung seiner Strategie für den Klimawandel verhindert.

Die Investor*innen sind Teil der Institutional Investor Group on Climate Change (IIGCC) und der Climate Action 100+ Initiative, die sich seit mehreren Jahren mit Volkswagen auseinandersetzen und das Unternehmen insbesondere auffordern, seine Lobbyposition zu klären.

Als die Fortschritte im Dialog ins Stocken gerieten, versuchten sie einen neuen Weg zu gehen. Anfang dieses Jahres brachten die Investor*innen, die auch von EOS bei Federated Hermes und anderen unterstützt wurden, einen Tagesordnungspunkt indie Hauptversammlung des Unternehmens im Mai ein und forderten die Veröffentlichung eines Berichts, in dem dargelegt wird, wie die Lobbyarbeit des Unternehmens bei politischen Entscheidungsträger*innen mit dem erklärten Ziel in Einklang steht, die Ziele des Pariser Abkommens zu unterstützen, indem es ein Netto-Null-Unternehmen wird. Volkswagen weigerte sich, diesen Punkt zu auf die Tagesordnung zu nehmen.

Die Investor*innen bringen die Angelegenheit nun vor das Amtsgericht Braunschweig.

Über AP7

AP7 (Sjunde AP-Fonden) ist die Standardalternative innerhalb des schwedischen Premium-Rentensystems mit fünf Millionen Sparer*innen und mehr als 800 Milliarden SEK AUM in globalen Aktien und festverzinslichen Wertpapieren. Mit einem diversifizierten Aktienportfolio von mehr als 3.000 Unternehmen verfolgt AP7 eine ESG-Strategie, die sich auf eine aktive universelle Eigentümerschaft konzentriert, ergänzt durch Impact-Investitionen.

Über AkademikerPension

AkademikerPension ist ein dänischer Pensionsfonds im Besitz seiner mehr als 150.000 Mitglieder, die hauptsächlich im öffentlichen Sektor, an akademischen Einrichtungen und Schulen der Sekundarstufe II beschäftigt sind. Die AkademikerPension verwaltet 17 Milliarden Euro und nutzt ihren Einfluss aktiv, um positive Veränderungen in den Unternehmen, in die sie investiert, zu erreichen.

Über das Church of England Pensions Board

Das Church of England Pensions Board bietet Altersversorgungsleistungen für Menschen an, die für die Kirche von England gearbeitet oder ihr gedient haben. Die Rentensysteme haben mehr als 40.000 Mitglieder, darunter etwa 25.000 Geistliche und über 15.000 andere. Die Renteninvestitionen belaufen sich auf insgesamt mehr als 3 Milliarden Pfund. Über 2.500 Menschen werden durch Wohn- und Wohltätigkeitsdiensten unterstützt.

Über AP4

AP4 hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Verwaltung eines Teils des Pufferkapitals des schwedischen Rentensystems zur finanziellen Sicherheit der derzeitigen und künftigen Rentner*innen in Schweden beizutragen. Die langfristige Investitionsperspektive von AP4, die Verantwortung als Eigentümer und das Engagement für Nachhaltigkeit schaffen Möglichkeiten für hohe Renditen bei niedrigen Kosten. Auf diese Weise setzt sich AP4 für sicherere Renten ein. Im Juni 2022 verwaltete AP4 ein Portfolio von 459 Mrd. SEK.

Über Hausfeld

Hausfeld ist eine weltweit tätige Anwaltskanzlei, die sich in klimarelevanten Angelegenheiten bewährt hat. So unterstützte Hausfeld im November 2021 Greta Thunberg und 13 andere jugendliche Klimaaktivist*innen aus der ganzen Welt bei der Einreichung einer Petition an UN-Generalsekretär António Guterres, in der sie ihn und die Leitungen aller UN-Organisationen aufforderten, einen systemweiten UN-Notstand zur Klimakrise auszurufen. Diese Petition folgte auf eine Menschenrechtsklage, die von denselben jugendlichen Petent*innen im September 2019 eingereicht wurde, Sacchi et al. gegen Argentinien, Brasilien, Frankreich, Deutschland und die Türkei (der Fall „Kinder gegen Klimakrise"), bei dem Hausfeld die Kläger*innen ebenfalls beriet.

Über ClientEarth – Anwälte der Erde

ClientEarth - Anwälte der Erde ist eine Nichtregierungsorganisation, die das Recht nutzt, um die Erde und ihre Bewohner*innen zu schützen. Zusammen mit Bürger*innen und unseren Partnerorganisationen in Deutschland, Europa und weltweit arbeiten wir an Themen wie Klimawandel, Naturschutz und Umweltverschmutzung. Wir nehmen die Industrie und Regierungen in die Verantwortung, um das Leben auf der Erde und das Recht auf eine gesunde Umwelt zu schützen. Mit Büros in Europa, Asien und den USA setzen wir bestehendes Recht durch, unterstützen unterschiedliche Akteur*innen in Umweltverfahren und wirken bei der Gesetzgebung und der Entwicklung des Rechts mit. Wir streben eine nachhaltige und systemische Transformation an, denn eine Welt, in der Mensch und Planet gemeinsam gedeihen, ist nicht nur möglich – sie ist notwendig.