ClientEarth
2. März 2023
Jene Staaten oder Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, sind am stärksten von ihr betroffen. Dies ist u.a. durch den Weltklimarat und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen anerkannt. Gleichzeitig sind es diese Staaten, die eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz übernehmen.
Dieser Beitrag schildert die Bemühungen des Staates Vanuatu um ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs. Er zeigt auf, wie Akteure, die besonders von der Klimakrise betroffen sind parallel zu den internationalen Klimaverhandlungen, Rechtswege ersuchen, sodass staatliche Verpflichtungen zur Eindämmung der Klimakrise definiert und konkretisiert werden.
UPDATE: Am Mittwoch den 29.03.2023 nahm die UN-Vollversammlung die Resolution Vanuatus im Konsens an. Ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs wird nun ersucht.
Spätestens Ende der 1980er Jahre stimmten wissenschaftliche Erkenntnisse darin überein, dass menschliches Handeln wesentlichen negativen Einfluss auf das Klima nimmt, denn die Erde erwärmte sich weitaus stärker, als sich das allein mit natürlichen Klimaveränderungen erklären ließ. Es bestand also dringender nationaler wie internationaler Handlungsbedarf.
1992 wurde erstmals auf zwischenstaatlicher Ebene ein Abkommen mit dem Ziel getroffen, die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Dieses Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change; UNFCCC) bildete, wie der Name schon besagt, den Rahmen für alle künftigen internationale Abkommen, deren Aufgabe es ist, angesichts des menschengemachten Klimawandels staatliche Pflichten zu definieren und festzulegen.
Auf diesem Rahmen basiert auch das Pariser Klimaabkommen von 2015, in dem sich die Vertragsstaaten darauf einigten die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C, nämlich auf möglichst auf 1,5°C, im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, um gerade diese „gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ zu verhindern.
Beide Vertragswerke erkennen den Grundsatz „der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten" an. Dieser verweist zum einen an den unterschiedlichen Fähigkeiten und wirtschaftlichen Möglichkeiten einzelner Staaten. Und zum anderen, und das ist weit ausschlaggebender, haben weder alle Staaten gleichermaßen zu der Klimakrise beigetragen noch sind sie im gleichen Ausmaß von deren Auswirkungen betroffen.
Die Rahmenkonvention von 1992 bildet die Rechtsgrundlage auf der weitere staatliche Verpflichtungen definiert werden. Sie folgt dem Grundsatz der sogenannten progressiven Fortentwicklung, demzufolge staatliche Pflichten zum Klimaschutz fortlaufend verstärkt werden sollen, indem sie unter anderem die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen, wie zum Beispiel die im Pariser Abkommen formulierte 1,5-Grad-Grenze.
Eine zentrale Rolle hinsichtlich der 1,5-Grad-Grenze spielen die sogenannten national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contributions; NDCs). Danach bestimmt jeder Staat für sich seine eigenen Anstrengungen zur Verminderung der globalen Treibhausgase mit dem Ziel, diese Beiträge schrittweise zu verschärfen.
Doch diese einzelnen nationalen Beiträge sind bislang bei weitem nicht ambitiös genug, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Laut gegenwärtigen Schätzungen, die auf der Basis der tatsächlichen aktuellen und nicht der zugesagten nationalen Maßnahmen errechnet wurden, steuert die Welt auf eine Erderwärmung von 2,2°C bis 3,4°C zu.
Das internationale Klimaregime ist also weit davon entfernt, „katastrophale Klimaauswirkungen“ und die „gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ zu verhindern.
Gemäß Artikel 7 UNFCCC soll die Implementierung des internationalen Klimaregimes regelmäßig kontrolliert werden. „Als oberstes Gremium“ ist so die jährliche Konferenz der Vertragsparteien (Conference of the Parties; COP) Teil dieses Prozesses. Ihre Aufgabe ist es, „die Durchführung des Übereinkommens und aller damit zusammenhängenden Rechtsinstrumente, die sie beschließt,“ zu überprüfen und „im Rahmen ihres Auftrags die notwendigen Beschlüsse“ zu fassen, mit dem Ziel „die wirksame Durchführung des Übereinkommens zu fördern”.
Vor allem kleinere Staaten haben in den vergangenen Jahren diese jährliche Konferenz der Vertragsparteien wegen der ausbleibenden Ergebnisse und Erfolge immer stärker kritisiert und das ist nicht überraschend. Denn wie bereits erwähnt sind oft diese kleineren Staaten von der Klimakrise am stärksten betroffen.
Initiiert von den Pacific Islands Students Fighting Climate Change, einer Jugendbewegung mehrerer Pazifikinseln, und im vergangenen Jahr auch offiziell vom südpazifischen Inselstaat Vanuatu auf den Weg gebracht, wird im Frühjahr 2023 der Generalvollversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) eine Resolution vorgelegt, auf deren Basis der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag um ein Rechtsgutachten ersucht werden soll.
Die Resolution wird seit dem 1. März 2023 offiziell von 105 Staaten, unter ihnen auch Deutschland, unterstützt und wird im selben Monat der UN-Vollversammlung zur Abstimmung vorgelegt. Falls die Resolution die benötigte einfache Mehrheit findet, wird der IGH angesichts der Klimakrise und übereinstimmender wissenschaftlicher Erkenntnisse prüfen, welche staatlichen Pflichten das bestehende internationale Recht begründet, unter besonderer Berücksichtigung der Menschenrechte.
Die Studierenden der Pazifikinseln sowie die Republik Vanuatu sehen sich bereits heute mit den verheerenden Folgen der Klimakrise konfrontiert, erfahren jedoch zu geringe internationale Unterstützung und Solidarität.
Die Republik Vanuatu, ein Inselstaat im Südpazifik, ist laut des Word Risk Index 2021 das Land mit dem weltweit höchsten Katastrophenrisiko. Unter den 15 am meist gefährdeten Ländern sind allein zehn Inselstaaten. So vernichtete 2020 Zyklon Harold an einem einzigen Tag ein Drittel des Bruttoinlandseinkommens (GDP) von Vanuatu.
Außerdem bedroht der durch den Klimawandel verursachte Anstieg des Meeresspiegels die Bewohnbarkeit, die Ernährungsgrundlagen, die Kultur und Existenz und damit die Souveränität der Inselstaaten. Vanuatus Initiative, den IGH um ein Rechtsgutachten zu ersuchen, greift somit die Anliegen der am stärksten gefährdeten und betroffenen Staaten und Bevölkerungsgruppen auf.
Die Klimakrise bedroht die Menschenrechte heutiger und zukünftiger Generationen. Aber welche staatlichen Verpflichtungen existieren im internationalen Recht? Und wie werden unser aller Rechte in der Klimakrise geschützt? Ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs könnte hier essenzielle Klarheit verschaffen.
Warum der Weg über die UN-Vollversammlung und den IGH? Die Vollversammlung gründet auf dem Prinzip souveräner Gleichheit (Charta der Vereinten Nationen). Das heißt, egal wie groß oder klein ein Staat ist, alle UN-Mitglieder sind gleich und haben eine gleichberechtigte Stimme. Es bedarf einer einfachen Mehrheit in der UN-Vollversammlung, um dem Internationalen Gerichtshof eine Rechtsfrage zur Begutachtung vorlegen zu können.
Der IGH ist das höchste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und wird oft auch als Weltgerichtshof bezeichnet. Seit 1946 trägt er zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten und zur Klärung völkerrechtlicher Fragen bei.
Ein Rechtsgutachten des IGH ist nicht rechtsverbindlich. Es ist dennoch ein wichtiger rechtlicher Wegweiser. In der Vergangenheit haben derartige Gutachten unter anderem dazu beigetragen, in wichtigen globalen juristischen Fragen größere Rechtsklarheit zu schaffen, wie etwa beim Recht auf Selbstbestimmung. Warum also nicht auch bei der Klimakrise? Größere Rechtsklarheit vor allem hinsichtlich staatlicher Pflichten zum Schutze des Klimas und der Menschenrechte wäre sehr hilfreich, und könnte dazu führen, dass wichtige politische Prozesse zur Eindämmung der Klimakrise vorangetrieben werden – auf nationaler wie internationaler Ebene.
Dieser Text basiert auf einem Artikel, der auf einen Vortrag den Lea Main-Klingst, Juristin und Expertin für Völkerrecht bei ClientEarth, am 11.10.2022 auf der Jahrestagung des IKEM hielt. Der vollständige Artikel ist in der KlimR 12/2022, S. 358 erschienen.
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