Pressemitteilung: 25. November 2020

Juristinnen kritisieren grünes Licht der EU zu den Steinkohleausschreibungen und fordern Transparenz bei der Braunkohle

Die Europäische Kommission hat das deutsche Kohlegesetz auf seine Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht geprüft und teilweise eine Genehmigung erteilt. Aus der Pressemitteilung der EU-Kommission geht hervor, dass die Steinkohleausschreibungen mit dem Beihilferecht vereinbar sind. Nach Ansicht der Juristinnen von ClientEarth bedeutet das, dass Kraftwerke, deren Regellaufzeit zum Teil überschritten ist, Entschädigungen für ihre hinausgezögerte Stilllegung erhalten könnten. Lediglich für das Jahr 2027 soll die Ausschreibungsrunde entfallen und eine gesetzliche Stilllegung erfolgen. Offen bleibt wie die Kommission die KWK-Förderung beurteilt, die ebenfalls unter dem beihilferechtlichen Vorbehalt steht.

"Die Bunderegierung ist mit den intransparenten Höchstsätzen für die Ausschreibungen der Steinkohle die Gefahr eingegangen, den deutschen Ausstieg aus der Steinkohle künstlich in die Länge zu ziehen. Damit bleibt die Befürchtung, dass den Betreibenden für einen viel zu späten Ausstieg aus der Kohle viel zu viel Geld bezahlt wird. Das lässt sich nicht mit dem Grundsatz der Sparsamkeit in Bezug auf öffentliche Gelder vereinbaren“, so Ida Westphal, Juristin von ClientEarth. "Dies wäre ein schlechtes Zeichen für den Klimaschutz, mit dem die Kommission die Entscheidung laut der Pressemitteilung ja begründet hat.“

Die Umweltjuristinnen begrüßen demgegenüber die Richtung der EU-Kommission, mit Blick auf die Braunkohleentschädigungen in Höhe von 4,35 Milliarden Euro wohl ein förmliches Prüfverfahren einzuleiten. Sie sehen sich in ihrer Kritik an der nach wie vor andauernden Intransparenz der Bundesregierung mit Blick auf die Entschädigungen bestätigt. Ein derartiges Verfahren leitet die EU-Kommission nach den Informationen auf ihrer Website nur bei ernsthaften Zweifeln oder fehlenden Informationen zur Prüfung der Vereinbarkeit ein.

"Hier muss die Bundesregierung jetzt nachbessern und endlich transparent machen, wie sich die Entschädigungszahlungen an die Braunkohle zusammensetzen“, so Ida Westphal und weiter: "Aus unserer Sicht bestehen hier erhebliche Zweifel daran, dass mit den vereinbarten Summen tatsächlich Anreize für frühere Stilllegungen gesetzt werden."

Die Juristinnen von ClientEarth hatten in mehreren Stellungnahmen ihre beihilferechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Zahlungen für den Ausstieg aus der Braun- und Steinkohle, sowie im Hinblick auf die KWK-Förderung an die Kommission getragen. Dabei verwiesen sie unter anderem eine Studie des Öko-Instituts mit konkreten Berechnungen der Milliardenentschädigungen für Braunkohlebetreibenden und ein rechtliches Gutachten zum Verstoß gegen das umweltrechtliche Verursacherprinzip vor.

Die Kohleverfeuerung ist nachweislich für die bei weitem höchsten CO2-Emissionen verantwortlich. Die USA hat mit ihrem Green New Deal darauf reagiert und auch die EU mit dem European Green Deal. In diesem Rahmen hat die Kommission auch angekündigt, sehr genau darauf zu achten, dass für die dringend notwendige Dekarbonisierung nicht zu viel Entschädigungen gezahlt werden. Mit der jetzigen Entscheidung wird die Kommission ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht und segnet stattdessen überhöhte Zahlungen an Steinkohlebetreibende ab.

Dass Deutschland unter diesen Umständen sowohl das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 aus dem Green Deal als auch die Pariser Klimaziele mit einem Kohleausstieg im Jahre 2038 nur schwer erreichen wird, übergeht die EU-Kommission. Doch mit ihrer Entscheidung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Für Betreibende von erneuerbaren Anlagen bringen die Regelungen des Kohlegesetzes erhebliche Nachteile und Preisverzerrungen mit sich. Ihnen steht nun als Marktakteurinnen frei, den Klageweg zu beschreiten. Auch ClientEarth wird die Entscheidung, sobald sie veröffentlicht ist, eingehend prüfen.

Hintergrund:

ClientEarth hatte bereits Oktober 2019 in einem juristischen Gutachten darauf hingewiesen, dass die geplanten Entschädigungszahlungen für Braunkohlekraftwerksbetreibende Gefahr laufen, unvereinbar mit dem EU-Beihilferecht zu sein. In einer beihilferechtlichen Analyse „Entschädigungen für die LEAG im Zuge des Kohleausstiegs – Unvereinbarkeit mit dem Beihilferecht und der EU- und Strombinnenmarktverordnung“ zeigte ClientEarth im Mai 2020 dann, dass nach derzeitiger Ausstiegsregelung einige Kraftwerksblöcke später vom Netz gehen würden, als von der LEAG in ihren internen Geschäftsplanungen für 2016 ursprünglich geplant und der Kohleausstieg durch die Entschädigungsvereinbarungen daher sogar verzögert wird. In einem Forderungspapier sowie in einem von ClientEarth in Auftrag gegebenem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Hartmut Gaßner und Dr. Georg Buchholz (GGSC) „Braunkohleausstieg durch Vertrag – Bindungswirkung und Demokratieprinzip“ kritisierte ClientEarth im Juni 2020 die öffentlich-rechtlichen Verträge mit Braunkohlebetreibenden.

Die Einwände gegen den Weg der Bundesregierung gehen aber noch weiter zurück, denn schon im Gesetzgebungsverfahren hatten die Jurist*innen von ClientEarth eine andere Vision für den Kohleausstieg. Gemeinsam mit Greenpeace und Roda Verheyen stellten sie im Mai 2019 einen eigenen Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz vor, welcher nur im Einzelfall Entschädigungen vorsieht. Die Bundesregierung hatte allerdings andere Pläne. Jetzt erhalten in manchen Fällen Betreibende sogar Entschädigungen für Kraftwerke, die ohnehin aus wirtschaftlichen Gründen zu ähnlichen Zeitpunkten vom Netz gegangen wären.

Trotz der EU-Entscheidung bleiben weitere Unsicherheiten: Ausländische Investoren haben in der Vergangenheit immer wieder Schiedsgerichtsverfahren geführt auf Grundlage von internationalen Investitionsabkommen wie dem Energie-Charta-Vertrag. Staaten wurden dadurch teilweise zu sehr hohen Schadensersatzsummen verurteilt. Das Kohlegesetz kann derartige Verfahren trotz einer ausgedehnten Verzichtsklausel und auch innerhalb ihrer Verträge mit den Betreibenden nicht vollkommen ausschließen. Mit den Braunkohleverträgen könnte sich die Bundesregierung in Sachen Klimapolitik in der Zukunft sogar erpressbar machen. Diese Unsicherheiten könnten nicht nur den Ausstieg unnötig teuer machen, sondern ihn sogar künstlich in die Länge ziehen und im schlimmsten Fall sogar verhindern – von den gesundheitlichen Konsequenzen ganz abgesehen.

Viele andere Länder sind schon weit voraus und der eingeschlagene Weg wird Deutschland im internationalen Vergleich noch weiter zurückwerfen. Ein im November veröffentlichter Bericht von Ember deutet die Entwicklung sehr deutlich ab: Deutschland wird 2030 für mehr als ein Drittel der verbleibenden Kohlestromversorgung in Europa verantwortlich sein. Von besonderem Interesse könnte die Entscheidung der Kommission für Kohleländer wie Polen und Tschechien sein, die noch keine Ausstiegspläne haben.

Über ClientEarth – Anwälte der Erde

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